Seite wählen

„Durch die Verehrung der Jungfrau Maria
Christus von ganzem Herzen lieben“
Von Johannes Paul II.

an die Ordensmänner und -frauen
der Montfortanischen Familien

Ein klassischer Text der marianischen Spiritualität
1) Vor 160 Jahren wurde ein Werk veröffentlicht, das dazu bestimmt
war, ein Klassiker der marianischen Spiritualität zu werden. Der hl.
Ludwig Maria Grignion von Montfort schrieb zu Beginn des 18.
Jahrhunderts den Traktat über die echte Marienverehrung, aber das
Manuskript blieb über ein Jahrhundert lang völlig unbekannt. Als es
beinahe zufällig im Jahr 1842 entdeckt und 1843 veröffentlicht
wurde, hatte es einen großen Erfolg, weil es sich als ein außerordentlich
wirksames Werk in der Verbreitung der „wahren Marienverehrung“
erwies. Ich selbst schöpfte in meinen Jugendjahren großen
Gewinn aus der Lektüre dieses Buches, denn darin „fand ich die
Antwort auf meine Ratlosigkeit“, die auf der Furcht beruhte, dass
die Verehrung für Maria und „ihre zu große Verbreitung schließlich
den Vorrang der Verehrung, die Christus zukommt, gefährdeten“
(Geschenk und Geheimnis, S. 37). Unter der weisen Führung des hl.
Ludwig Maria verstand ich, dass, wenn man das Geheimnis Marias
in Christus lebt, diese Gefahr nicht besteht. Das mariologische Denken
des Heiligen „wurzelt im trinitarischen Geheimnis und in der
Wahrheit von der Menschwerdung des WORTES Gottes“ (ebd.).
Die Kirche hat seit ihren Anfängen und besonders in schwierigen
Augenblicken eines der Leidensereignisse, über die Johannes
berichtet, mit besonderer Aufmerksamkeit betrachtet: „Bei dem
Kreuz Jesu standen Seine Mutter und die Schwester Seiner Mutter,
Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala. Als Jesus Seine
Mutter sah und bei ihr den Jünger, den Er liebte, sagte Er zu Seiner
Mutter: Frau, siehe, Dein Sohn! Dann sagte Er zu dem Jünger: Siehe,
Deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu
sich“ (Joh 19,25–27). Das Volk Gottes hat im Lauf seiner Geschichte
dieses Geschenk des gekreuzigten Jesus erfahren: das Geschenk Seiner Mutter. Maria ist wirklich unsere Mutter, die uns auf unserem
Pilgerweg des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe zu einer immer
engeren Vereinigung mit Christus, dem einzigen Erlöser und
Mittler des Heils, führt (vgl. Lumen gentium, 60 und 62).
Auf meinem Bischofswappen, das symbolisch den vorgenannten
Text aus dem Evangelium darstellt, ist der Wahlspruch „Totus
tuus“ zu lesen, der sich bekanntlich an der Lehre des hl. Ludwig
Maria Grignion von Montfort inspiriert (vgl. Geschenk und Geheimnis,
S. 37–39; Rosarium Virginis MARIAE, 15). Die beiden Worte
bringen die vollkommene Zugehörigkeit zu Jesus durch Maria zum
Ausdruck: „Tuus totus ego sum, et omnia mea tua sunt“, schreibt
der hl. Ludwig Maria. Und er übersetzt: „Mein Jesus, ich bin ganz
dein, und alles, was mein ist, ist dein durch Maria, deine heilige
Mutter“ (Traktat über die wahre Marienverehrung, 233). Die Lehre
dieses Heiligen hat auf die Marienverehrung vieler Gläubigen und
auf mein eigenes Leben einen tiefen Einfluss ausgeübt. Es handelt
sich um eine gelebte Lehre von bemerkenswerter asketischer und
mystischer Tiefe, und sie ist in einem lebendigen, leidenschaftlichen
Stil geschrieben, der oft Bilder und Symbole verwendet. Seit der
Zeit, als der hl. Ludwig Maria lebte, und danach hat sich die marianische
Theologie weiterentwickelt, vor allem durch den entscheidenden
Beitrag des II. Vatikanischen Konzils. Heute ist also die
montfortanische Lehre in der Sicht des Konzils zu verstehen und
auszulegen, sie behält aber im wesentlichen ihre Gültigkeit. In diesem
Schreiben möchte ich mit Euch Ordensleuten der Montfortanischen Familien die Betrachtung über einige Abschnitte der Schriften
des hl. Ludwig Maria teilen, die uns in diesen schwierigen Augenblicken
helfen mögen, unser Vertrauen auf die mütterliche Mittlerschaft
der Mutter des Herrn zu nähren.

„Ad Jesum per Mariam”
2) Der hl. Ludwig Maria bietet mit besonderer Eindringlichkeit die
liebevolle Betrachtung des Geheimnisses der Menschwerdung an.
Die wahre Marienverehrung ist christozentrisch. In der Tat, so lehrt
das II. Vatikanische Konzil, „indem die Kirche über Maria in frommer
Erwägung nachdenkt und sie im Licht des in menschgewordenen
Wortes betrachtet, dringt sie verehrend in das erhabene Geheimnis
der Menschwerdung tiefer ein“ (Lumen gentium, 65).
Die Liebe zu Gott durch die Vereinigung mit Jesus Christus ist
das Ziel jeder wahren Frömmigkeit, „denn“ – so schreibt der
hl. Ludwig Maria – „Jesus Christus ist der einzige Lehrer, der uns
lehren soll; der einzige Herr, von dem wir abhängen sollen; das einzige Haupt, mit dem wir verbunden sein sollen; das einzige Vorbild,
dem wir nacheifern sollen; der einzige Arzt, der uns heilen soll; der
einzige Hirt, der uns Nahrung geben soll; der einzige Weg, der uns
führen soll; die einzige Wahrheit, die wir glauben sollen; das einzige
Leben, das uns erfüllen soll. Er ist das Ein und Alles, das uns genügen
soll“ (Traktat über die wahre Marienverehrung, 61).

3) Die Verehrung der Jungfrau Maria ist ein bevorzugtes Mittel,
„dass wir Christus vollkommen finden, ihn von ganzem Herzen lieben
und Ihm in Treue dienen“ (Traktat über die wahre Marienverehrung
62). Dieser vorrangige Wunsch, „von ganzem Herzen zu lieben“,
mündet in die leidenschaftliche Bitte an Jesus um die Gnade,
an der unsagbaren Liebesgemeinschaft teilzuhaben, die zwischen
Ihm und Seiner Mutter besteht. Marias völlige Bezogenheit auf
Christus und in Ihm auf die Heiligste Dreifaltigkeit kommt vor allem
in den Worten zum Ausdruck: „Jedes Mal, wenn du an Maria denkst,
denkt sie für dich an Gott. Jedes Mal, wenn du Maria lobst und
ehrst, lobt und ehrt sie für dich den Herrn. Maria ist ganz auf Gott
bezogen, und ich nenne sie gern die reine Gottesbeziehung, die
nicht existiert, wenn nicht in Beziehung zu Gott; oder das Echo Gottes,
das nichts anderes sagt und wiederholt als Gott. Wenn du ,Maria‘
sagst, sagt sie ,Gott‘. Elisabeth lobte Maria und nannte sie selig,
weil Maria geglaubt hatte. Maria, das treue Echo Gottes, antwortete:
,Meine Seele preist die Größe des Herrn‘ (Lk 1,46). Was Maria bei
dieser Gelegenheit getan hat, tut sie immer. Wenn man sie lobt,
liebt, ehrt oder ihr etwas schenkt, wird Gott gelobt, wird Gott geliebt,
wird Gott geehrt und wird Gott gegeben: durch Maria und in
Maria“ (Traktat über die wahre Marienverehrung, 225).
In einem Gebet an die Mutter des Herrn drückt der hl. Ludwig
Maria auch die trinitarische Dimension seiner Beziehung zu Gott
aus: „Gegrüßet seist du, Maria, Tochter Gottes des Vaters. Gegrüßet
seist du, Maria, Mutter Gottes des Sohnes. Gegrüßet seist du, Maria,
Braut des Heiligen Geistes“ (Das Geheimnis Marias, 68). Dieser
traditionelle Ausdruck, der schon von Franz von Assisi verwendet
wurde (vgl. Fonti Francescane, 281), jedoch ungleiche Ebenen der
Analogie enthält, bringt sehr deutlich die besondere Teilhabe der
Gottesmutter am Leben der Heiligsten Dreifaltigkeit zum Ausdruck.

4) Der hl. Ludwig Maria betrachtet alle Geheimnisse, ausgehend
von der Menschwerdung, die sich im Augenblick der Verkündigung
ereignete. So erscheint Maria im Traktat über die wahre Marienverehrung
als „das wahre irdische Paradies des neuen Adam“ und als
die „jungfräuliche, unbefleckte Erde“, aus der er geformt wurde (Nr.
261). Sie ist auch die neue Eva, die dem neuen Adam im Gehorsam
beigesellt ist, der den ursprünglichen Ungehorsam des Mannes und
der Frau wieder gutmacht (vgl. ebd., 53; hl. Irenaeus, Adversus haereses,
III, 21,10–22,4). Durch diesen Gehorsam tritt der Sohn Gottes in die Welt ein. Selbst das Kreuz ist schon geheimnisvoll gegenwärtig
im Augenblick der Menschwerdung, im Augenblick der
Empfängnis Jesu im Schoß Mariens. Denn das „ecce venio“ des Hebräerbriefs
(vgl. 10,5–9) ist der ursprüngliche Gehorsamsakt des
Sohnes gegenüber dem Vater, das heißt, es ist schon die Annahme
Seines Erlösungsopfers, „wenn Er in die Welt kommt“.
„Unsere ganze Vollkommenheit besteht darin“ – schreibt der hl.
Ludwig Maria Grignion von Montfort –, „Christus ähnlich, mit ihm
vereint und ihm geweiht zu sein. Ohne Zweifel ist deshalb die vollkommenste
Frömmigkeit diejenige, die uns am meisten Jesus Christus
gleich werden lässt, mit ihm vereint und ihm weiht. Da nun aber
Maria von allen Geschöpfen Christus am ähnlichsten ist, so folgt
daraus, dass die Verehrung Marias, der Mutter Christi, uns am meisten
ihm gleich werden lässt und Ihm weiht. Je mehr wir also Maria
geweiht sind, desto mehr sind wir auch Christus geweiht“ (Traktat
über die wahre Marienverehrung, 120). Indem er sich an Jesus wendet,
bringt Ludwig Maria zum Ausdruck, wie einzigartig die Vereinigung
zwischen dem Sohn und der Mutter ist: Sie ist durch die Gnade
so in dich verwandelt, dass sie nicht mehr selber lebt, nicht selber
ist. Du allein, mein Jesus, lebst und herrschst in ihr … Wüssten die
Christen, welche Liebe und Ehre du in diesem wunderbaren Geschöpf empfängst … Maria ist mit dir so tief verbunden … Denn sie
liebt dich glühender und ehrt dich vollkommener als alle anderen
Geschöpfe zusammen“ (ebd., 63).
Maria, herausragendes Glied des Mystischen Leibes
und Mutter der Kirche

5) Nach den Worten des II. Vatikanischen Konzils wird Maria „auch
als überragendes und völlig einzigartiges Glied der Kirche wie auch
als ihr Typus und klarstes Urbild im Glauben und in der Liebe“ gewürdigt
(Konst. Lumen gentium, 53). Die Mutter des Erlösers wurde
in einzigartiger Weise in ihrer unbefleckten Empfängnis durch ihn
erlöst, und sie ist uns in dem gläubigen und liebenden Hören des
Wortes Gottes, das selig macht (vgl. ebd., 58), vorangegangen.
Auch deshalb ist Maria „mit der Kirche auf das innigste verbunden.
Die Gottesmutter ist, wie schon der hl. Ambrosius lehrte, der Typus
der Kirche in der Ordnung des Glaubens, der Liebe und der vollkommenen
Einheit mit Christus. Im Geheimnis der Kirche, die ja auch
selbst zu Recht Mutter und Jungfrau genannt wird, ist die selige
Jungfrau Maria vorangegangen, da sie in hervorragender und einzigartiger
Weise das Urbild sowohl der Jungfrau wie der Mutter
darstellt“ (ebd., 63).
Dasselbe Konzil betrachtet Maria als Mutter der Glieder Christi
(vgl. ebd., 53; 62), und so hat Paul Vl. sie zur Mutter der Kirche erklärt.
Die Lehre vom Mystischen Leib, die am deutlichsten die Verbindung
Christi mit der Kirche ausdrückt, ist auch die biblische
Grundlage dieser Aussage. „Haupt und Glieder werden von der gleichen
Mutter geboren“ (Die wahre Marienverehrung, 32), betont
der hl. Ludwig Maria. In diesem Sinn können wir sagen, dass die
Glieder durch den Heiligen Geist mit Christus, dem Haupt, dem
Sohn des Vaters und Mariens, so verbunden und ihm ähnlich sind,
dass sie als „die wahren Kinder Gottes Gott zum Vater und Maria
zur Mutter haben“ (Das Geheimnis Marias, 11).
In Christus, dem eingeborenen Sohn, sind wir wirklich Kinder
des Vaters und zugleich Kinder Marias und der Kirche. In der jungfräulichen
Geburt Jesu wird in gewisser Weise die ganze Menschheit
wiedergeboren. „Wir können auf Maria mit größerer Berechtigung
anwenden, was Paulus von sich sagt: ,… meine Kinder, für die
ich von neuem Geburtswehen erleide, bis Christus in euch Gestalt
annimmt‘ (Gal 4,19). ,Täglich erleide ich Geburtswehen für die Kinder Gottes, bis Jesus Christus, mein Sohn, in seiner vollendeten Gestalt (Eph 4,13) in ihnen gebildet ist‘“ (Traktat über die wahre Marienverehrung 33). Diese Lehre findet ihren schönsten Ausdruck in dem Gebet: „Heiliger Geist, gib mir eine große Verehrung für Maria, eine tiefe Zuneigung zu deiner Braut, Vertrauen in ihre mütterliche Liebe und den Willen, ihre Hilfe anzunehmen. Dann wirst Du in mir Jesus heranbilden und mich Ihm immer ähnlicher machen“ (Das Geheimnis Marias, 67).
Eine der schönsten Aussagen der Spiritualität des hl. Ludwig
Maria Grignion von Montfort bezieht sich auf die Identifizierung
des Gläubigen mit Maria in ihrer Liebe zu Jesus und ihrem Dienst für
Jesus. In seiner Meditation über den bekannten Text des hl. Ambrosius
: „Marias Seele möge in jedem Menschen sein, um den Herrn zu
verherrlichen, Marias Geist möge in jedem sein, um Gott zu lobpreisen“
(Expos. in Luc., 12,26: PL 15,1561), schreibt er: „Glücklich der
Mensch, der ganz vom Geist Marias geleitet und bewohnt ist! Der
Geist Marias ist mild und stark, eifrig und klug, demütig und mutig,
rein und fruchtbar!“ (Traktat über die wahre Marienverehrung
258). Die mystische Identifizierung mit Maria ist ganz auf Jesus ausgerichtet,
wie es in folgendem Gebet heißt: „Meine Mutter, gib mir
deinen Geist, dass ich Jesus Christus und seinen Willen erkenne wie
du; gib mir deine Seele, dass ich den Herrn lobpreise; gib mir dein
Herz, dass ich Gott von ganzem Herzen liebe wie du“ (Das Geheimnis
Marias, 68).
Heiligkeit ist Vollkommenheit der Liebe
6) In der Konstitution Lumen gentium heißt es: „Während die Kirche
in der seligsten Jungfrau schon zur Vollkommenheit gelangt ist, in
der sie ohne Makel und Runzel ist (vgl. Eph 5,27), bemühen sich die
Christgläubigen noch, die Sünde zu besiegen und in der Heiligkeit
zu wachsen. Dabei richten sie ihre Augen auf Maria, die der ganzen
Gemeinschaft der Auserwählten als Urbild der Tugenden voranleuchtet“
(Nr. 65). Die Heiligkeit ist die Vollkommenheit der Liebe,
jener Liebe zu Gott und zum Nächsten, die Gegenstand des ersten
Gebotes Jesu ist (vgl. Mt 22,38), und sie ist auch das größte Geschenk
des Heiligen Geistes (vgl. 1 Kor 13,13). Also stellt der hl. Ludwig Maria den Gläubigen dann in seinen Liedern die Einzigartigkeit
der Liebe (Gesang 5), das Licht des Glaubens (Gesang 6)
und die Festigkeit der Hoffnung (Gesang 7) vor.
In der montfortanischen Spiritualität kommt die Dynamik der
Liebe besonders durch das Symbol des „Sklaven der Liebe“ zu Jesus
nach dem Beispiel und mit der mütterlichen Hilfe Marias zum Ausdruck.
Es handelt sich um die volle Gemeinschaft mit der „kenosis“
Christi; die Gemeinschaft, die mit Maria gelebt wird, die in den Geheimnissen
des Lebens des Sohnes gegenwärtig ist. „Nichts bindet
uns enger an Jesus Christus und Seine heilige Mutter als diese freiwillige
Ganzhingabe. Sie folgt ganz dem Beispiel Jesu, der aus Liebe
zu uns ,wie ein Sklave wurde‘ (Phil 2,7), und dem Vorbild Marias,
die gesagt hat: ,Ich bin die Magd des Herrn‘ (Lk 1,38). Der Apostel
Paulus hat sich ,Knecht Jesu Christi‘ (Röm 1,1) genannt, und in der
Heiligen Schrift werden die Christen öfters als ,Sklaven Christi‘ (1 Kor
7,22) bezeichnet“ (Traktat über die wahre Marienverehrung, 72).
Der Sohn Gottes, der aus Gehorsam zum Vater durch die
Menschwerdung in die Welt gekommen ist (vgl. Hebr 10,7), hat sich
dann erniedrigt und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am
Kreuz (vgl. Phil 2,7–8). Maria hat den Willen Gottes durch die völlige
Selbsthingabe mit Leib und Seele für immer erfüllt, von der Verkündigung
bis zum Kreuz und vom Kreuz bis zur Aufnahme in den
Himmel. Sicher besteht zwischen dem Gehorsam Christi und dem
Gehorsam Marias eine Asymmetrie, bedingt durch den ontologischen
Unterschied zwischen der göttlichen Person des Sohnes und
der menschlichen Person Marias. Daraus ergibt sich auch die Ausschließlichkeit
der ursächlichen Heilswirksamkeit des Gehorsams
Christi, aus der Seine Mutter selbst die Gnade empfangen hat, in
voller Weise Gott gehorchen und so an der Sendung ihres Sohnes
mitwirken zu können. Das „Sklaventum der Liebe ist also im Licht,
des wunderbaren Tausches zwischen Gott und der Menschheit im
Geheimnis des menschgewordenen Wortes zu verstehen. Es besteht ein wahrer Liebesaustausch zwischen Gott und Seinem Geschöpf
in der Gegenseitigkeit der Selbsthingabe.“ Der Geist dieser
Frömmigkeit besteht darin, sich innerlich ganz und gar von Maria
und durch sie von Jesus abhängig zu machen“ (vgl. Traktat über das
Geheimnis Marias, 44). Paradoxerweise macht dieses „Liebesband“,
diese „Liebessklaverei“, den Menschen ganz frei, durch die wahre
Freiheit der Kinder Gottes (vgl. Traktat über die wahre Marienverehrung,
169). Es handelt sich darum, sich Jesus ganz zu überlassen
und auf die Liebe Antwort zu geben, mit der er uns zuerst geliebt
hat. Wer in dieser Liebe lebt, kann mit dem Apostel Paulus sprechen:
„Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20).
Der Weg des Glaubens
7) In Novo millennio ineunte schrieb ich : „Zu Jesus gelangt man in
der Tat nur durch den Weg des Glaubens“ (Nr. 19). Genau das war
der Weg, den Maria während ihres ganzen irdischen Lebens gegangen
ist, und es ist der Weg der pilgernden Kirche bis zum Ende der
Zeiten. Das II. Vatikanische Konzil bestand auf Marias Glauben, der
von der Kirche auf geheimnisvolle Weise geteilt wird, und beleuchtete
den Lebensweg der Gottesmutter von der Verkündigung an bis
zum Augenblick des heilbringenden Leidens (vgl. Lumen gentium,
57 und 67; Enzyklika Redemptoris Mater, 25–27).
In den Schriften des hl. Ludwig Maria finden wir den gleichen
Akzent auf dem Glaubensweg der Mutter Jesu, der von der Menschwerdung
bis zum Kreuz reicht; ein Glaube, für den Maria das Modell
und der Urtyp der Kirche ist. Der hl. Ludwig Maria bringt das in
reichen Schattierungen zum Ausdruck, wenn er seinem Leser die
„wunderbaren Auswirkungen“ der vollkommenen Marienverehrung
beschreibt: „Je mehr du dir das Wohlwollen dieser hohen Prinzessin
und treuen Jungfrau erwirbst, umso mehr wird deine Lebensführung
vom reinen Glauben inspiriert werden. Einem reinen
Glauben, so dass du dich auch nicht darüber wundern wirst, wie
empfindsam und einzigartig er ist. Es ist ein lebendiger, von der
Nächstenliebe angeregter Glaube, der dich nur aus reiner Liebe
handeln lässt. Ein felsenfester, unerschütterlicher Glaube, der dich
auch bei Unwetter und Sturm feststehen und ausharren lässt. Ein
tätiger und eindringlicher Glaube, der dich wie ein geheimnisvoller
vielseitiger Schlüssel in alle Mysterien Jesu Christi, in die letzten Ziele
des Menschen und in das Herz Gottes wird eindringen lassen. Ein
mutiger Glaube, der dich große Dinge für Gott und für das Heil der
Seelen wagen und zu Ende führen lässt. Ein Glaube schließlich, der
deine brennende Fackel, dein göttliches Leben, dein verborgener
Schatz der göttlichen Weisheit und deine allmächtige Waffe sein
wird, mit der du alle erleuchten wirst, die in Finsternis und Todesschatten
sind. Du wirst alle entflammen, die das glühende Gold der
Nächstenliebe brauchen; du wirst denen Leben geben, die auf
Grund der Sünde tot sind; du wirst durch deine milden und starken
Worte die Herzen aus Stein und die Zedern des Libanon bewegen
und erschüttern; und du wirst schließlich dem Satan und allen Feinden
des Heils widerstehen“ (Traktat über die wahre Marienverehrung
214).
Wie der hl. Johannes vom Kreuz legt der hl. Ludwig Maria großes
Gewicht auf die Reinheit des Glaubens und seine hauptsächliche
und oft schmerzhafte Dunkelheit (vgl. Das Geheimnis Marias,
51–52). Es ist der kontemplative Glaube, der, indem er auf die spürbaren
oder außerordentlichen Dinge verzichtet, in die geheimnisvolle
Tiefe Christi eindringt. Der hl. Ludwig Maria wendet sich deshalb
mit folgenden Worten an die Mutter des Herrn: „Ich bitte dich
nicht um Erscheinungen oder außergewöhnliche Erfahrungen oder
geistige Freuden … Ich bin noch auf der Pilgerfahrt des Lebens und
wünsche mir nur das eine, so zu leben, wie Du gelebt hast: im reinen
Glauben, ohne zu schauen und zu fühlen“ (ebd., 69).
Das Kreuz ist der höchste Augenblick des Glaubens von Maria,
wie ich in der Enzyklika Redemptoris Mater geschrieben habe:

„Durch diesen Glauben ist Maria vollkommen mit Christus in Seiner
Entäußerung verbunden … Dies ist vielleicht die tiefste ,kenosis‘ des
Glaubens in der Geschichte des Menschen“ (Nr. 18).
Zeichen der sicheren Hoffnung
8) Der Heilige Geist lädt Maria ein, sich in den Erwählten „neu zu
bilden“, indem sie in ihnen die Wurzeln ihres „unbesiegbaren Glaubens“,
aber auch ihrer „festen Hoffnung“ ausbreitet (vgl. Traktat
über die wahre Marienverehrung, 34). Das hat das II. Vatikanische
Konzil in Erinnerung gerufen: „Wie die Mutter Jesu, im Himmel
schon mit Leib und Seele verherrlicht, Bild und Anfang der in der
kommenden Weltzeit zu vollendenden Kirche ist, so leuchtet sie
auch hier auf Erden in der Zwischenzeit bis zur Ankunft des Tages
des Herrn (vgl. 2 Petr 3,10) als Zeichen der sicheren Hoffnung und
des Trostes dem wandernden Gottesvolk voran“ (68). Diese eschatologische
Dimension wird vom hl. Ludwig Maria besonders hervorgehoben,
wenn er von den „Heiligen der Endzeit“ spricht, die von
der Allerseligsten Jungfrau neu gebildet werden, um den Sieg Christi
über die Mächte des Bösen in der Kirche zu erringen (vgl. Traktat
über die wahre Marienverehrung 49–59). Es handelt sich in keiner
Weise um eine Art „Militarismus“, sondern um den tiefen Sinn des
eschatologischen Wesens der Kirche, das an die heilbringende Einzigkeit
und Universalität Jesu Christi gebunden ist. Die Kirche erwartet
die glorreiche Wiederkunft Jesu am Ende der Zeiten. Die Heiligen
sind wie Maria und mit Maria in der Kirche und für die Kirche da,
um ihre Heiligkeit erstrahlen zu lassen und um das Werk Christi, des
einzigen Erlösers, bis an die Grenzen der Welt und bis zum Ende der
Zeiten auszubreiten.
In der Antiphon „Salve Regina“ bezeichnet die Kirche die Gottesmutter
als „unsere Hoffnung“. Derselbe Ausdruck wird vom hl.
Ludwig Maria verwandt, ausgehend von einem Text des hl. Johannes
von Damaskus, der auf Maria das biblische Symbol des Ankers

überträgt (vgI. Hom. l in Dorm. B.M.V., 14: PG 96,719): „Wir binden
unsere Seelen an dich, unsere Hoffnung, wie an einen festen Anker.
Die Heiligen, die gerettet sind, haben sich am engsten an Maria
gebunden und andere zu ihr geführt, damit sie in der Tugend beständig
blieben. Glücklich sind deshalb die Christen zu nennen, die
sich jetzt treu und vollkommen an Maria binden wie an einen sicheren
Anker“ (Traktat über die wahre Marienverehrung, 175). Diese
Marienverehrung führt dazu, dass Jesus selbst „durch ein heiliges
Vertrauen in Gott die Herzen der Gläubigen weit macht und sie Gott
als guten Vater erfahren lässt“ (vgl. ebd., 169).
Zusammen mit der seligsten Jungfrau Maria und ebenso mit
dem Herzen einer Mutter betet die Kirche, hofft und tritt ein für das
Heil aller Menschen. Der letzte Abschnitt der Konstitution Lumen
gentium lautet: „Alle Christgläubigen mögen inständig zur Mutter
Gottes und Mutter der Menschen flehen, dass sie, die den Anfängen
der Kirche mit ihren Gebeten zur Seite stand, auch jetzt, im
Himmel über alle Seligen und Engel erhöht, in Gemeinschaft mit
allen Heiligen bei ihrem Sohn Fürbitte einlege, bis alle Völkerfamilien,
mögen sie den christlichen Ehrennamen tragen oder ihren Erlöser
noch nicht kennen, in Friede und Eintracht glückselig zum einen
Gottesvolk versammelt werden, zur Ehre der heiligsten und
ungeteilten Dreifaltigkeit“ (Nr. 69). Indem ich diesen Wunsch wieder-
hole, den ich mit den anderen Konzilsvätern vor 40 Jahren ausgesprochen
habe, erteile ich der ganzen Familie der Montfortaner
den besonderen Apostolischen Segen.

Aus dem Vatikan, am 8. Dezember 2003, dem Hochfest der ohne
Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria.

   Joannes Paulus PP. II

                                                                         (Quelle: L‘Osservatore Romano 13.2.2004.)