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Anna Katharina Emmerick

Aussagen von Mystikern über das Leben und Sterben Jesu

Viele Mystiker geben Zeugnis von ihren Erfahrungen mit Jesus Christus.

Ostermontag

„O Furchterregendes Wunder! Wie kann das Grab dich festhalten, mein Kind, dich, den die Grenzen der Erde nicht fassen können?“, fragte die Jungfrau Maria. „Das Licht meiner Augen verdunkelt sich, ich weiß nicht wie; o Sonne ohne Untergang, ich kann sehen, wie du unter der Erde verschwindest!“ (…)

Die Sonne kleidete sich in Finsternis, als sie dich sah, dich, den Einen der Dreifaltigkeit, wie du deine Strahlen unter der Erde verbargst und die Höhlen der Hölle ausplündertest, indem du mit lebendiger Kraft den Verurteilten aus seinen Fesseln befreit und seine Strafe erlassen hast.

Kommt alle herbei, ihr gläubigen Seelen, die ihr mit Wohlgerüchen zum Grabe eilt, denn seht, hier bricht die frohe Botschaft der Freude und des Jubels hervor:

Christus, der Retter, ist auferstanden mit Macht und hat alle Gefesselten von der Verderbnis befreit.

Lasst uns also alle Traurigkeit, die uns umfängt, zurückweisen und entschlossen Chöre bilden für das Fest der Auferstehung Christi; lasst uns mit lauter Stimme seine Erlösung verkünden: „Freut euch!“, und sie auch für uns selbst in einem Akt des Glaubens in Anspruch nehmen, denn siehe, er ist auferstanden und erfüllt das Universum mit Freude.

vom Sinai (9. Jahrhundert)

Stichera von der Grablegung, SC 486 (Sinaiticus graecus 864; trad. Sr Maxime Ajjoub, éd. du Cerf, 2004, p. 413-415)

 

Ostersonntag

Die heilige Jungfrau war von der Auferstehung ihres Sohnes vollkommen überzeugt, da er sie ganz offen voraussagte; sie kannte aber nicht die Stunde,
die in der Tat nirgendwo festgelegt war. Sie verbrachte daher die Nacht des Karsamstags, die ihr sehr lang vorkam, im Nachdenken über die mögliche Stunde der Auferstehung; Da sie wusste, dass David, mehr als die anderen Propheten, über die Passion des Messias gesprochen hat, überflog sie die Psalmen, fand aber keine Zeitangabe darüber.

Doch im 57. Psalm sagt David: “Wach auf, meine Seele, wacht auf, Harfe und Saitenspiel! Ich will das Morgenrot wecken.” Nun kannte die heilige Jungfrau die Stunde der Auferstehung, und ihr könnt euch denken mit welchem Eifer sie aufstand, um nachzusehen, ob das Morgenrot schon erschien. Da sie es nicht sah, schloss sie den Psalter und vergewisserte sich, ob nicht andere Propheten die Stunde der Auferstehung erwähnten. Und im Buch Hosea, im sechsten Kapitel, fand sie diesen Text: “Nach zwei Tagen gibt er uns das Leben zurück, am dritten Tag richtet er uns wieder auf, und wir leben vor seinem Angesicht. Lasst uns Streben nach Erkenntnis des Herrn. Er kommt so sicher wie das Morgenrot.” Die heilige Jungfrau Maria erhob sich und sagte: “Diese Zeugen über die Stunde der Auferstehung meines Sohnes genügen mir …”, sie blickte aus dem Fenster und sah, dass das Morgenrot erschien.

Ihre Freude war groß: “Mein Sohn wird auferstehen”. Dann beugte sie die Knie und betet: “Erwache, komm zu mir und sieh, und Du Herr, Gott Sabaoth, erwache.” Und sogleich sandte Jesus ihr den Engel Gabriel, zu dem Er sagte: “Du, der du meiner Mutter die Menschwerdung des Wortes verkündet hast, verkünde ihr Seine Auferstehung.” Alsbald flog der Engel zur heiligen Jungfrau und sprach: “Freue dich, Königin des Himmels, der, den du in deinem Schoss zu tragen würdig warst, ist auferstanden, wie Er gesagt hat.” Und Christus grüßte seine Mutter, mit den Worten: “Friede sei mit dir…” Da antwortete Maria ihrem Sohn: “Bis jetzt, mein Sohn, hielt ich den Samstag in Ehren, um den Tag nach der Schöpfung zu heiligen; von nun an wird es der Sonntag sein, in Erinnerung an Deine Auferstehung und Deine Herrlichkeit.” Und Jesus hieß es gut.

Christus erzählte Maria, wie er in der Unterwelt Satan gefesselt hat und stellte seiner Mutter die Patriarchen vor, die er aus dem Totenreich erlöst hat. Sie alle verneigten sich tief vor ihr. Ihr könnt euch das Gefühl von Adam und Eva vorstellen, als sie zur heiligen Jungfrau Maria sagten: “Gesegnet seist du, unsere Tochter und Unsere Liebe Frau, du, über die der Herr zur Schlange sprach: “Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau.” Eva fügte hinzu: “Ich habe durch meine Schuld das Tor zum Paradies verschlossen, du aber, Gnadenvolle, hast es wieder geöffnet.” Und ein Prophet nach dem anderen, sagte zu ihr: “Ich habe an dieser oder jener Stelle in meinem Buch über dich prophezeit”, dann verbeugten sie sich vor ihr und sprachen: “Du bist der Ruhm Jerusalems, die Freude Israels und die Ehre unseres Volkes.”

Und die Heilige Jungfrau empfahl sich ihnen mit den Worten: “Ihr seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, eine heilige Nation, ein Volk, das Gott sich erworben hat um das Lob dessen zu verkünden, der euch aus der Finsternis in sein bewunderungswürdiges Licht gerufen hat.” Und von neuem sangen die Engel: “Freue dich, Königin des Himmels.”

 

Karsamstag

Schweißtuch der Veronika, das jedes Jahr gezeigt wird

Anna Katharina Emmerich schaute in einer Vision über das Leiden und Sterben Jesu am Kreuzweg eine Frau, welche durch ihre heutige Handlung den Namen Veronika erhielt. Sie berichtet von ihr: Sie trat verschleiert in die Straße, ein Tuch hing über ihrer Schulter, das Mägdlein, etwa neun Jahre alt, stand neben ihr und hatte die mit Wein gefüllte Kanne unter einem Überhang verborgen, als der Zug sich näherte. Die Vorausziehenden versuchten vergebens, sie zurückzuweisen … (Sie) trat Jesus in den Weg, fiel auf die Knie und hob das Tuch, an einer Seite ausgebreitet, zu ihm auf mit den flehenden Worten: Würdige mich, meines Herrn Antlitz zu trocknen! Jesus ergriff das Tuch mit der Linken und drückte es mit der flachen Hand gegen sein blutiges Angesicht und dann, die Linke mit dem Tuch gegen die Rechte bewegend, welche über den Kreuzarm herüberfasste, drückte er das Tuch zwischen beiden Händen zusammen und reichte es ihr dankend zurück, sie aber küsste es und schob es unter den Mantel auf ihr Herz und stand auf; … Kaum hatte sie ihr Gemach betreten, als sie das Schweißtuch vor sich auf den Tisch legte und ohnmächtig niedersank … So fand sie ein Hausfreund, der zu ihr eintrat, und sah sie bei dem ausgebreiteten Tuche, auf dem das blutige Angesicht Jesu schrecklich, aber wunderbar deutlich abgedrückt war, wie tot liegen … Dieses Tuch war eine etwa dreimal so lange als breite Bahn feiner Wolle, sie trugen es gewöhnlich um den Nacken hängend, manchmal ein zweites über der Schulter nieder …

 

 

Nun herrscht wieder Stille, bis erneut am Tor geklopft wird.

Da die Stadt ruhig ist, sind die Frauen nicht mehr so ängstlich. Aber als sie durch den Türspalt das bartlose Gesicht des Longinus erblicken, fliehen sie alle, als hätten sie einen Toten in seinem Leichentuch oder den Teufel in Person gesehen. Der Herr des Hauses, der neugierig in der Vorhalle auf- und abgegangen ist, läuft als erster davon.

Magdalena, die bei Maria war, eilt herbei. Longinus ist mit einem unwillkürlich amüsierten Lächeln auf den Lippen eingetreten und hat selbst das schwere Tor hinter sich geschlossen. Er ist nicht in Uniform, sondern trägt ein graues, kurzes Gewand unter einem dunklen Mantel.

Maria Magdalena schaut ihn an, und er schaut sie an. Dann fragt Longinus, immer noch an die Tür gelehnt: »Darf ich eintreten, ohne daß jemand verunreinigt wird? Und auch ohne jemanden zu erschrecken? Ich habe heute früh den Bürger Josef gesehen, und er hat mir den Wunsch der Mutter mitgeteilt. Ich bitte um Verzeihung, daß ich nicht selbst darauf gekommen bin. Hier ist die Lanze. Ich hatte sie behalten als Andenken … an … den Heiligen der Heiligen. O ja, das ist er! Doch es ist nur recht und billig, daß die Mutter die Lanze bekommt. Was die Kleider betrifft… wird es schwieriger sein. Sage es ihr nicht… aber wahrscheinlich sind sie schon für wenige Denare verkauft worden … Das ist das Recht der Soldaten. Doch will ich versuchen, sie zu finden … «

»Komm, sie ist dort drüben.«

»Aber ich bin ein Heide!«

»Das macht nichts. Ich werde dich anmelden, wenn du es wünschst.«

»Oh! … Ich dachte nur, dessen nicht würdig zu sein.«

Maria Magdalena geht zur Jungfrau. »Mutter, Longinus ist draußen. Er schenkt dir die Lanze.«

»Laß ihn eintreten.«

Der Hausherr, der am Tor steht, murrt: »Aber er ist doch ein Heide.«

»Ich bin die Mutter aller, Mann, so wie er der Erlöser aller ist.«

Longinus tritt ein, nachdem er auf der Schwelle auf römische Art mit ausgestrecktem Arm gegrüßt hat (er hat den Mantel abgelegt), und sagt: »Ave, Domina. Ein Römer grüßt dich, Mutter des Menschengeschlechtes. Du bist die wahre Mutter. Ich wollte nicht bei… bei dieser Sache … dabei sein. Aber es war ein Befehl. Und wenn es dazu gedient hat, daß ich dir nun bringen kann, was du wünschst, dann verzeihe ich dem Schicksal, das mich für dieses furchtbare Geschehen bestimmt hat. Hier«, und er überreicht ihr die in ein rotes Tuch gewickelte Lanze. Nur das Eisen, nicht den Schaft.

Maria nimmt sie und wird noch bleicher. Selbst die Lippen heben sich fast nicht mehr von der blassen Gesichtshaut ab. Die Lanze scheint ihr die Adern zu öffnen. Selbst ihre Lippen zittern, als sie sagt: »Er möge dich an sich ziehen. Deiner Güte wegen.«

»Er war der einzige Gerechte, dem ich im großen römischen Reich begegnet bin. Es tut mir leid, daß ich ihn nur durch die Worte der Kameraden kennengelernt habe. Nun … ist es zu spät!«

»Nein, Sohn. Er hat aufgehört zu predigen. Aber sein Evangelium bleibt, in seiner Kirche.«

»Wo ist seine Kirche?« fragt Longinus leicht ironisch.

»Hier ist sie. Heute ist sie verfolgt und zerstreut. Doch morgen wird sie sich vereinigen wie ein Baum, der seinen Wipfel nach einem Sturm wieder aufrichtet. Und wenn auch sonst niemand mehr da wäre, ich bin da. Und das Evangelium Jesu Christi, der der Sohn Gottes und mein Sohn ist, steht in meinem Herzen geschrieben. Ich brauche nur in mein Herz zu sehen, um es euch wiederholen zu können.«

»Ich werde kommen. Eine Religion, die als Oberhaupt einen solchen Helden hat, kann nur göttlich sein. Ave, Domina!«

Und auch Longinus geht wieder.

Maria küßt die Lanze, an der noch das Blut des Sohnes klebt … Sie will dieses Blut auch nicht entfernen, sondern läßt es als »Rubin Gottes auf der grausamen Lanze«, wie sie sagt.

Der Tag vergeht, während der Himmel sich abwechselnd aufhellt und mit dunklen Gewitterwolken bedeckt.

Karfreitag

Die Klage der Jungfrau

»Jesus! Jesus! Wo bist du? Hörst du mich noch? Hörst du deine arme Mutter, die deinen heiligen, gepriesenen Namen ruft, nachdem sie ihn so viele Stunden nur im Herzen genannt hat? Deinen heiligen Namen, der meine Liebe war, die Liebe meiner Lippen; meiner Lippen, die Honigsüße verspürten beim Nennen deines Namens; meiner Lippen, die nun, wenn sie ihn nennen, nur die Bitterkeit zu trinken scheinen, die auf deinen Lippen zurückgeblieben ist. Die Bitterkeit der furchtbaren Mischung … Dein Name, die Liebe meines Herzens, das vor Freude schwoll, wenn es ihn aussprach, so wie es sich weitete, um dir sein Blut zu geben, um dich zu empfangen und dich mit ihm zu bekleiden, als du vom Himmel zu mir kamst, so klein, so winzig, daß du im Blütenkelch der wilden Minze Platz gefunden hättest.

Du, der du so groß bist, du, der Mächtige, hast dich für das Heil der Welt gedemütigt und bist Mensch geworden. Dein Name, der Schmerz meines Herzens, nun, da sie dich den Liebkosungen deiner Mutter entrissen haben, um dich den Händen der Henker auszuliefern, die dich bis zum Tod gemartert haben. Mein Herz ist zermalmt von diesem deinen Namen, den ich so lange in mir verschließen mußte und der immer lauter schrie, je größer dein Schmerz wurde, bis es zermalmt war wie unter dem Tritt eines Riesen. O ja, mein Schmerz ist riesengroß und zermalmt und zerreißt mich, und es gibt nichts, was ihn lindern könnte.

Wem soll ich deinen Namen sagen? Nichts antwortet meinem Schrei. Selbst wenn ich so laut schreien würde, daß der Stein, der dein Grab verschließt, zerspringt, du würdest mich nicht hören, denn du bist tot. Hörst du deine Mutter nicht mehr? Wie oft hat sie dich, mein Sohn, in diesen vierunddreißig Jahren gerufen! Seit ich wußte, daß ich Mutter sein und daß der Name meines Kindes Jesus sein würde. Du warst noch nicht geboren, da streichelte ich meinen Leib, in dem du heranwuchsest, und rief dich leise: „Jesus”, und es schien mir, als würdest du dich bewegen, um mich „Mama” zu nennen! Für mich hattest du schon eine Stimme, ich erträumte sie mir, deine Stimme. Ich hörte deine Stimme schon, bevor sie war. Und als ich sie dann vernahm, zart wie die Stimme eines neugeborenen Lämmchens und zitternd in der Kälte der Geburtsnacht, da lernte ich die höchste Freude kennen … Und ich glaubte, den Abgrund des Schmerzes kennengelernt zu haben, da ich die Tränen meines Kindes sah, das fror und sich nicht wohlfühlte, das seine ersten Erlösertränen weinte, und ich hatte weder Feuer noch Wiege und konnte nicht an deiner statt leiden, Jesus. Ich hatte nur meine Brust, um dich zu wärmen und zu betten, und meine Liebe, um dich anzubeten, mein heiliges Kind.

Ich glaubte, den Abgrund des Schmerzes kennengelernt zu haben… Aber es war erst das Morgengrauen, der Beginn dieses Schmerzes. Nun ist es Mittag. Nun habe ich die Tiefe des Abgrunds erreicht, nach einem Abstieg von vierunddreißig Jahren. So vieles hat mich hinabgestoßen und mich heute niedergestreckt in dieser furchtbaren Tiefe deines Kreuzes.

Als du klein warst, da habe ich dich gewiegt und gesungen: „Jesus! Jesus!” Gibt es eine schönere und heiligere Harmonie als diesen Namen, der die Engel des Himmels lächeln macht? Dein Name war für mich schöner als der süße Gesang der Engel in der Nacht deiner Geburt. Ich sah durch ihn in den Himmel… den ganzen Himmel sah ich in diesem Namen. Und nun, da du tot bist und mich nicht hörst und mir nicht mehr antwortest, als ob du nie gewesen wärest, sehe ich die Hölle, wenn ich ihn ausspreche. Die ganze Hölle. Nun weiß ich, was es heißt, verdammt zu sein. Nicht mehr sagen zu können: „Jesus”! Schrecklich! Schrecklich! Schrecklich! …

Wie lange wird diese Hölle für deine Mutter dauern? Du hast gesagt: „In drei Tagen werde ich diesen Tempel wieder aufrichten.” Den ganzen Tag schon wiederhole ich mir diese Worte, damit ich nicht tot umfalle; um bereit zu sein, dich bei deiner Rückkehr zu begrüßen und dir wieder dienen zu können… Aber wie werde ich drei Tage lang deinen Tod ertragen können? Drei Tage lang tot, du mein Leben?

Wie ist es möglich, daß du, der du alles weißt, weil du die unendliche Weisheit bist, nichts von der Verzweiflung deiner Mutter weißt? Kannst du es dir nicht vorstellen, wenn du dich erinnerst, wie ich dich in Jerusalem verlor und du mich sahst, wie sich die dich umgebende Menge teilte mit dem Gesicht einer Schiffbrüchigen, die nach endlosem Kampf mit den Wellen und dem Tod den Strand erreicht, mit dem Gesicht einer erschöpften, ausgebluteten, gealterten, zerschmetterten Gefolterten? Und damals konnte ich dich nur verloren glauben. Ich konnte mich der Hoffnung hingeben, daß es nur das war. Heute nicht. Heute nicht. Ich weiß, daß du tot bist. Es gibt keine Hoffnung. Ich habe gesehen, wie man dich umgebracht hat. Hier ist der Beweis. Selbst wenn der Schmerz mein Gedächtnis trüben würde, hier ist dein Blut auf meinem Schleier, das mir sagt: „Er ist tot. Er hat kein Blut mehr! Dies ist der letzte Tropfen aus seinem Herzen!” Aus seinem Herzen! Aus dem Herzen meines Kindes. Meines Sohnes! Meines Jesus! Oh, Gott! Barmherziger Gott, erinnere mich nicht daran, daß sie ihm das Herz durchbohrt haben…

Jesus, ich kann nicht allein hier bleiben, während du allein dort bist. Ich, die ich nie die Wege der Welt und die Menschenmengen geliebt habe, und du weißt es, bin dir immer häufiger gefolgt, seit du Nazaret verlassen hast, um nicht fern von dir leben zu müssen. Ich habe Neugier und Spott ertragen, und ich zähle die Mühen nicht auf, denn sie wurden bei deinem Anblick zu nichts. Ich wollte nur dort leben, wo du warst. Und nun bin ich hier allein. Und du bist dort allein. Warum haben sie mich nicht in deinem Grab gelassen? Ich hätte mich neben dein kaltes Bett gesetzt, eine deiner Hände in meinen Händen, um dich fühlen zu lassen, daß ich in deiner Nähe bin … Nein, um zu fühlen, daß du in meiner Nähe bist. Du fühlst nichts mehr. Du bist tot!

Wie viele Nächte habe ich an deiner Wiege verbracht, betend. Bebend, von deinem Anblick beseligt. Willst du, daß ich dir sage, wie du geschlafen hast und deine Fäustchen wie zwei Blütenknospen neben dem heiligen Gesichtlein lagen? Soll ich dir sagen, wie du im Schlaf gelächelt, dich gewiß an die Milch deiner Mama erinnert und schlafend den Mund bewegt und gesaugt hast? Soll ich dir sagen, wie du dann erwacht bist, die Äuglein geöffnet und gelacht hast, als du mich über dich geneigt sahst, wie du die Händchen in ungeduldiger Freude ausgestreckt hast, um in die Arme genommen zu werden, und mit einem leisen Jauchzen, mit dem Triller einer Mönchsgrasmücke deine Mahlzeit verlangt hast? Oh, wie selig war ich, wenn du an meiner Brust lagst und ich die Wärme deiner Wange und die Liebkosungen deiner kleinen Händchen fühlte!

Du wolltest nie ohne deine Mama sein. Und nun bist du allein! Verzeih mir, Kind, daß ich dich allein gelassen habe; daß ich nicht zum ersten Mal in meinem Leben aufbegehrt habe und bei dir geblieben bin. Dort ist mein Platz. Ich würde mich nicht so untröstlich fühlen, wenn ich an deinem Totenbett wäre, dich wie einst umwickeln und deine Binden wechseln könnte … Auch wenn du mich nicht anlächeln und nicht mit mir sprechen könntest, es würde mir scheinen, als wärst du wieder mein Kind. Ich würde dich an mein Herz drücken, damit du die Kälte des Steins, die Härte des Marmors nicht fühlst. Habe ich dich nicht auch heute in meinen Armen gehalten? Auf dem Schoß einer Mutter ist immer Platz für ihren Sohn, auch wenn er schon ein Mann ist. Der Sohn ist immer das Kind für seine Mutter, auch wenn er vom Kreuz abgenommen und von Wunden bedeckt ist.

Wie viele, wie viele Wunden! Wie viele Schmerzen! Oh, mein Jesus, mein ganz von Wunden bedeckter Jesus! So verwundet! So getötet! Nein. Nein. Nein, Herr, das kann nicht wahr sein! Ich bin von Sinnen! Jesus tot? Ich fiebere. Jesus kann nicht sterben! Leiden, ja, aber nicht sterben! Er ist das Leben! Er ist der Sohn Gottes. Er ist Gott. Und Gott stirbt nicht.

Stirbt nicht? Aber warum hat er dann „Jesus” geheißen? Was bedeutet „Jesus”? Es bedeutet… Oh, es bedeutet „Erlöser”! Er ist tot! Er ist tot, weil er der Erlöser ist. Er mußte alle erlösen und sich selbst dahingeben … Ich fiebere nicht, o nein. Ich bin nicht von Sinnen. Nein. Wäre ich es nur! Ich würde weniger leiden. Er ist tot. Hier ist sein Blut. Hier ist seine Dornenkrone. Hier sind die drei Nägel. Mit diesen, mit diesen haben sie ihn durchbohrt!

Menschen, seht, womit ihr Gott, meinen Sohn, durchbohrt habt! Und ich muß euch verzeihen. Und ich muß euch lieben. Denn auch er hat verziehen. Denn er verlangt von mir, daß ich euch liebe. Er hat mich zu eurer Mutter gemacht, zur Mutter der Mörder meines Sohnes! Eines seiner letzten Worte im Kampf gegen das Todesröcheln war: „Mutter, siehe da deinen Sohn … deine Kinder.” Selbst wenn ich nicht die Gehorsame wäre, so hätte ich doch heute gehorchen müssen, denn es war der Befehl eines Sterbenden.

Sieh, Jesus, ich verzeihe. Ich liebe sie. Ach! Es zerreißt mir das Herz bei dieser Verzeihung, bei dieser Liebe! Hörst du, daß ich ihnen verzeihe und sie liebe? Ich bete für sie. Schau, ich bete für sie … Ich schieße die Augen, um diese Marterwerkzeuge nicht zu sehen, damit ich ihnen verzeihen, damit ich sie lieben, damit ich für sie beten kann. Jeder Nagel soll meinen Willen, sie nicht zu lieben, ihnen nicht zu verzeihen und nicht für deine Henker zu beten, kreuzigen.

Man klopft ans Tor. Maria des Alphäus geht hinaus. Eine Unterredung in der Vorhalle, dann steckt Johannes den Kopf ins Zimmer.

»Johannes, du bist zurück? Immer noch nichts?«

»Doch … Simon Petrus …

… Ich bin dem Pfad gefolgt, den der Meister eingeschlagen hatte … Und ich glaubte, vielleicht sei auch Simon Petrus tot, denn ich sah ihn dort ganz zusammen gekauert an einem Felsen. Ich rief ihn, und er hob den Kopf… Er war so verändert, daß mir schien, er habe den Verstand verloren. Und mit einem Schrei versuchte er zu entfliehen. Aber er strauchelte, denn die Tränen trübten seine Augen, und ich hielt ihn fest. Er sagte mir: „Laß mich. Ich bin ein Dämon. Ich habe ihn verleugnet. So, wie er es vorher gesagt hatte … Der Hahn hat gekräht, und er hat mich angesehen. Ich bin geflohen. Ich bin auf den Feldern hin- und her gerannt, und dann war ich auf einmal hier. Und siehst du? Hier hat Jahwe mich sein Blut finden lassen, um mich anzuklagen. Überall Blut! Überall Blut! Auf dem Felsen, auf der Erde, auf dem Gras. Ich habe es ihn vergießen lassen. Wie du, wie alle. Aber ich habe dieses Blut verleugnet.” Er schien mir von Sinnen zu sein. Ich habe alles versucht, um ihn zu beruhigen und fortzuführen. Aber er wollte nicht. Er sagte: „Hier, hier will ich bleiben, um dieses Blut und diesen Mantel zu bewachen. Mit meinen Tränen will ich ihn waschen. Wenn kein Blut mehr an dem Mantel ist, werde ich vielleicht zu den Lebenden zurückkehren, an meine Brust schlagen und sagen: „Ich habe den Herrn verleugnet.” Ich habe ihm gesagt, daß du ihn sehen willst, daß du mich auf die Suche nach ihm geschickt hast. Aber er wollte mir nicht glauben. Also habe ich ihm gesagt, daß du auch Judas sehen wolltest, um ihm zu verzeihen, und daß du sehr leidest, weil du es durch seinen Selbstmord nicht mehr tun kannst. Erst dann hat sich sein Weinen etwas beruhigt. Und er wollte alles wissen und hat mir auch erzählt, daß noch frisches Blut im Gras war und daß Judas, von dessen Gewand er einen Fetzen gefunden hatte, den Mantel zerrissen hat. Ich habe ihn lange reden lassen und dann gesagt: „Komm mit zur Mutter.” Oh, wie mußte ich bitten und betteln, um ihn zu überzeugen. Und als ich glaubte, es sei mir gelungen, und aufstand um zu gehen, wollte er nicht mehr. Erst gegen Abend haben wir uns auf den Weg gemacht. Aber kurz vor der Tür hat er sich wieder in einem verlassenen Garten versteckt und gesagt: „Ich will nicht, daß die Leute mich sehen. Auf meiner Stirn steht geschrieben: Gottesleugner.” Erst als es ganz dunkel wurde, ist es mir gelungen, ihn hierher zu schleppen.«
»Wo ist er?«
»Hinter der Tür.«
»Laß ihn hereinkommen.«
»Mutter …«
»Johannes …«
»Tadle ihn nicht. Er bereut.«
»Kennst du mich immer noch so wenig? Laß ihn herein kommen.«

Johannes geht hinaus. Doch er kommt allein zurück und sagt: »Er hat nicht den Mut… Versuche du, ihn zu rufen.«

Und Maria sagt sanft: »Simon des Jona, komm.« Nichts. »Simon Petrus, komm.« Nichts. »Petrus von Jesus und Maria, komm.« Ein lautes, bitterliches Weinen. Aber er kommt nicht herein. Maria steht auf. Sie legt den Mantel auf den Tisch und geht zur Tür.

Petrus hat sich draußen zusammengekauert. Wie ein herrenloser Hund. Er weint so laut, daß er das Geräusch der sich öffnenden, quietschenden Tür nicht hört, und auch nicht das Knirschen der Sandalen Marias. Er bemerkt sie erst, als sie vor ihm steht, sich über ihn neigt, eine seiner auf die Augen gedrückten Hände ergreift und ihn auffordert, aufzustehen. Sie geht in das Zimmer und zieht Petrus hinter sich her wie ein Kind. Dann verriegelt sie die Tür und kehrt, gebeugt in ihrem Schmerz, wie Petrus in seiner Scham, an ihren Platz zurück.

Petrus geht zu ihr, kniet zu ihren Füßen nieder und weint hemmungslos. Maria streichelt das ergraute und vor Schmerz schweißnasse Haar. Sonst nichts, nur diese Liebkosung, bis er ruhiger geworden ist. Dann, als Petrus schließlich sagt: »Du kannst mir nicht verzeihen. Streichle mich also nicht. Denn ich habe ihn verleugnet«, entgegnet Maria: »Petrus, du hast ihn verleugnet. Das ist wahr. Du hast den Mut gehabt, ihn öffentlich zu verleugnen, den feigen Mut, es zu tun. Die anderen … Alle, außer den Hirten, Manaen, Nikodemus, Josef und Johannes, sind nur feige gewesen. Alle haben sie ihn verleugnet, die Männer und die Frauen Israels, mit Ausnahme einiger Frauen … Ich spreche nicht von den Neffen und Alphäus der Sara. Sie waren Verwandte und Freunde. Aber die anderen! … Sie hatten nicht einmal den satanischen Mut, zu lügen, um sich zu retten; und sie hatten weder den geistigen Mut, zu bereuen und zu weinen, noch den noch größeren Mut, öffentlich ihren Fehler einzugestehen. Du bist ein armer Mensch. Du bist es vielmehr gewesen, solange du auf dich selbst vertraut hast. Nun bist du ein Mensch. Und morgen wirst du ein Heiliger sein. Aber selbst, wenn du nicht so wärest, wie du bist, ich hätte dir trotzdem verziehen. Ich hätte Judas verziehen, um seine Seele zu retten; denn um eine Seele zu retten, selbst eine einzige Seele, sollte man keine Mühe scheuen und jeden Ekel und allen Widerwillen und allen Groll überwinden, auch wenn es einem das Herz zerreißt. Denke daran, Petrus. Ich wiederhole dir: „Der Wert einer Seele ist so groß, daß man sie – selbst auf die Gefahr hin, ihre Nähe nicht zu ertragen und daran zu sterben – mit den Armen umfassen und festhalten muß, so wie ich jetzt dein ergrautes Haupt halte, wenn man verstanden hat, daß man sie durch dieses Festhalten retten kann.” So wie eine Mutter, die nach der väterlichen Züchtigung das Haupt ihres schuldigen Sohnes an ihr Herz zieht und mit den Worten ihres gequälten, in Liebe und Schmerz schlagenden Herzens mehr gutmacht und erreicht als der Vater mit seiner Strenge. Petrus meines Sohnes, armer Petrus, der du wie alle in dieser Stunde der Finsternis in die Hand Satans geraten und dir dessen nicht bewusst gewesen bist, der du glaubst, alles allein getan zu haben, komm, komm an das Herz der Mutter der Söhne meines Sohnes. Hier kann Satan dir nichts anhaben. Hier beruhigen sich die Gewitter in Erwartung der Sonne, meines Jesus, der auferstehen und dir sagen wird: „Friede, mein Petrus.” Der Morgenstern erscheint, rein und schön, und sein Kuß verleiht Reinheit und Schönheit, wie es auf dem klaren Wasser unseres Meeres an den kühlen Frühlingsmorgen geschieht. Deshalb habe ich so sehr nach dir verlangt. Am Fuß des Kreuzes wurde ich seinetwegen und euretwegen gemartert, und – wie konntest du mich nicht hören? – ich habe eure Seelen so laut gerufen, daß ich glaube, sie sind wahrhaftig zu mir gekommen. Und, verschlossen in meinem Herzen, nein, vielmehr auf meinem Herzen, wie die Schaubrote, habe ich sie empor gehoben, damit sie in seinem Blut und seinen Tränen gewaschen werden. Ich durfte es tun, denn er hat mich in Johannes zur Mutter seiner ganzen Nachkommenschaft gemacht… Wie sehr habe ich nach dir verlangt! … An jenem Morgen, am Nachmittag, in der Nacht und am nächsten Tag … Warum hast du eine Mutter so lange warten lassen, armer, von Satan verwundeter und getretener Petrus? Weißt du nicht, daß es die Aufgabe der Mütter ist, wiedergutzumachen, zu heilen, zu verzeihen, zu führen? Ich führe dich zu ihm. Möchtest du ihn sehen? Möchtest du sein Lächeln sehen, um dich zu überzeugen, daß er dich immer noch liebt? Ja? Oh, dann löse dich aus den Armen der armen Frau und lege deine Stirn an die gekrönte Stirn, deinen Mund auf die wunden Lippen, und küsse deinen Herrn.«

»Er ist tot… Ich werde es nie mehr tun können.«

»Petrus, antworte mir. Welches, glaubst du, ist das letzte Wunder deines Herrn?«

»Das der Eucharistie. Nein, vielmehr das des geheilten Soldaten… Oh, ich erinnere mich nicht daran…!«

»Eine treue, liebevolle und starke Frau ist auf dem Kalvarienberg zu ihm gekommen und hat sein Antlitz abgetrocknet. Und er, um zu zeigen, was die Liebe vermag, hat dem Linnen sein Antlitz aufgeprägt. Hier, Petrus. Das hat eine Frau erreicht, in der Stunde der höllischen Finsternis und des göttlichen Zornes. Nur weil sie geliebt hat. Denke immer daran, Petrus! In den Stunden, da du meinst, Satan sei stärker als Gott. Gott war der Gefangene der Menschen. Er war unterdrückt, verurteilt und gegeißelt worden und dem Tod schon nahe… Und doch, selbst in den schwersten Verfolgungen ist Gott immer Gott. Und wenn auch die Idee getroffen wird, Gott, der sie erweckt hat, ist unangreifbar und antwortet daher ohne Worte, mit diesem Tuch, den Gottesleugnern, den Ungläubigen, den Menschen mit dem törichten „Warum”, dem sündhaften „Es ist nicht möglich” und dem gotteslästerlichen „Was ich nicht verstehe, das kann nicht wahr sein”. Schau es an, das Linnen. Einmal, du selbst hast es mir erzählt, hast du zu Andreas gesagt: „Der Messias soll sich dir geoffenbart haben? Das kann nicht wahr sein.” Und dann mußte sich dein menschlicher Verstand der Kraft des Geistes auf dem Berg Tabor beugen, der den Messias dort sah, wo der Verstand ihn nicht gesehen hatte. Ein anderes Mal hast du im Sturm auf dem Meer gefragt: „Soll ich kommen, Meister?”, und dann hast du auf halbem Weg, auf den tobenden Wellen zu zweifeln begonnen und gesagt: „Das Wasser kann mich nicht tragen”, und mit dem Zweifel als Ballast wärest du beinahe ertrunken. Erst als der Glaube des Geistes, entgegen dem menschlichen Verstand, die Oberhand gewann, hast du Hilfe bei Gott gefunden. Ein anderes Mal hast du gesagt: „Wenn Lazarus schon seit vier Tagen tot ist, warum sind wir dann gekommen? Um sinnlos zu sterben?” Denn du konntest mit deinem menschlichen Verstand zu keinem anderen Ergebnis kommen. Und dein Verstand wurde vom Geist beschämt, der dir in dem Auferweckten die Herrlichkeit des Erweckers bewies und dir zeigte, daß ihr nicht umsonst dorthin gegangen wart. Ein andermal, ja, sogar mehrmals hast du gesagt, wenn du deinen Herrn vom Tod, vom schrecklichen Tod sprechen hörtest: „Das wird dir niemals zustoßen.” Und du siehst, wie dein Verstand Lügen gestraft wurde. Ich erwarte nun das Wort deines Geistes zu diesem letzten Geschehnis …«

»Verzeihung.«

»Nicht dieses. Ein anderes Wort.«

»Ich glaube.«

»Ein anderes.«

»Ich weiß nicht…«

»Ich liebe. Petrus, liebe! Es wird dir verziehen werden. Du wirst glauben. Du wirst stark sein. Du wirst der Priester sein und nicht der Pharisäer, der unterdrückt und statt des lebendigen Glaubens nur Äußerlichkeiten kennt. Sieh ihn an. Finde den Mut, ihn anzusehen … Alle haben ihn angeschaut und verehrt. Auch Longinus … Und du solltest es nicht können? Du hast ihn doch verleugnen können! Wenn du ihn jetzt nicht ansiehst, durch das Feuer meines mütterlich-liebenden Schmerzes, der euch vereint, der euch versöhnt, dann wirst du es nie wieder tun können. Er wird auferstehen. Wie wirst du ihn in seiner neuen Herrlichkeit ansehen können, wenn du nicht sein Antlitz kennst im Übergang vom Meister, den du kennst, zum Sieger, den du nicht kennst? Denn der Schmerz, aller Schmerz der Jahrhunderte und der Welt, hat ihn mit Meißel und Hammer bearbeitet in den Stunden von der Vesper des Donnerstags bis zur neunten Stunde des Freitags. Und er hat sein Antlitz verändert. Zuerst war er nur der Meister und Freund. Nun ist er der Richter und König. Er hat seinen Thron bestiegen, um zu richten. Und er hat seine Krone aufgesetzt. So wird er bleiben. Nur wird er nach seiner glorreichen Auferstehung nicht mehr der menschliche Richter und König, sondern der göttliche Richter und König sein. Sieh ihn an. Schau ihn an, solange noch die Menschheit und der Schmerz ihn verschleiern, um ihn betrachten zu können, wenn er in seiner Gottheit triumphieren wird.«

Petrus hebt endlich das Haupt vom Schoß der Mutter und betrachtet sie mit vom Weinen geröteten Augen und dem Gesicht eines alten Kindes, das über das angerichtete Übel verzweifelt und über die ihm entgegengebrachte Güte verwundert ist.

Maria zwingt ihn, seinen Herrn anzusehen auf dem Tuch von Veronika. Und nun stöhnt Petrus wie vor einem lebendigen Antlitz: »Verzeihung! Verzeihung!

Ich weiß nicht, wie es geschehen konnte … was es war. Ich bin es nicht gewesen. Etwas hat mich verändert, und ich war nicht mehr ich selbst. Aber ich liebe dich, Jesus! Ich liebe dich, mein Meister! Komm zurück. Komm zurück! Geh nicht fort, ohne mir zu sagen, daß du mich verstanden hast!«

Maria wiederholt die Geste, die sie schon in der Grabkammer gemacht hat. Mit ausgestreckten Armen und aufrecht stehend gleicht sie der Priesterin im Augenblick der Opferung. Und wie sie dort die unbefleckte Hostie geopfert hat, so opfert sie hier den reuigen Sünder. Sie ist wahrlich die Mutter der Heiligen und der Sünder. Dann hilft sie Petrus beim Aufstehen und tröstet ihn wiederum. Sie sagt zu ihm: »Nun, da du hier bist, geht es mir besser. Geh jetzt hinüber zu den Frauen und Johannes. Ihr braucht Ruhe und Nahrung. Geh, sei gut…« Sie spricht wie zu einem Kind.

So vergeht die Nacht des Karsamstags, bis im ersten schwachen Schein des Morgens ein Hahn kräht und Petrus mit einem Schrei auf die Füße springt. Sein angstvoller Schrei weckt auch die anderen Schlafenden.
Die Nachtruhe ist zu Ende. Das Leid beginnt wieder, während für Maria die Qual des Wartens nur noch größer wird.

Gründonnerstag

Aus allen vier Evangelien wissen wir, daß Jesu letztes Mahl vor dem Leiden auch ein Ort der Verkündigung war. Jesus hat noch einmal eindringlich die tragenden Elemente seiner Botschaft vorgelegt. Wort und Sakrament, Botschaft und Gabe gehören untrennbar zusammen. Jesus hat aber während des letzten Mahles vor allem auch gebetet. Matthäus, Markus und Lukas gebrauchen zwei Wörter, um das Beten Jesu am zentralen Punkt des Abendmahls zu beschreiben: eucharistesas – eulogesas: danken und segnen.

Die aufsteigende Bewegung des Dankens und die absteigende des Segnens gehören zusammen. Die Worte der Verwandlung sind Teil dieses Betens Jesu. Sie sind Gebetsworte. Jesus wandelt seine Passion in Gebet um, in Hingabe an den Vater für die Menschen. Diese Verwandlung seines Leidens in Liebe hat verwandelnde Kraft für die Gaben, in denen er nun sich selber gibt. Er gibt sie uns, damit wir und die Welt verwandelt werden. Das letzte und eigentliche Ziel der eucharistischen Verwandlung ist unsere eigene Verwandlung in die Gemeinschaft mit Christus hinein. Eucharistie zielt auf den neuen Menschen, die neue Welt, wie sie nur von Gott her durch den Dienst des Gottesknechts entstehen kann.

Papst Benedickt XVI: Predigt vom 21. April 2011

 

Von diesem Ort aus, an dem Christus die heiligen Worte zur Einsetzung der Eucharistie gesprochen hat, lade ich euch, liebe Priester, ein, das »Geschenk« und das »Geheimnis«, das wir empfangen haben, wiederzuentdecken. Um es an der Wurzel zu erfassen, müssen wir über das Priestertum Christi nachdenken. An ihm hat gewiß das ganze Volk Gottes kraft der Taufe teil. Doch das Zweite Vatikanische Konzil erinnert uns auch daran, daß es außer dieser Art der Teilhabe, die allen Getauften gemeinsam ist, noch eine andere und besondere Weise gibt: das Amtspriestertum, das sich dem Wesen nach vom Priestertum aller Gläubigen unterscheidet, auch wenn es ganz eng auf dieses hingeordnet ist (vgl. Lumen gentium, 10).

Dem Priestertum Christi nähern wir uns in einer besonderen Sichtweise im Rahmen des Jubiläums der Menschwerdung an. Dieses lädt uns ein, uns in Christus in den engen Zusammenhang zu versenken, der zwischen seinem Priestertum und dem Geheimnis seiner Person besteht. Das Priestertum Christi ist nichts »Zufälliges«; es ist keine Aufgabe, die er genauso gut hätte ausschlagen können. Das Priestertum gehört vielmehr zu seiner Identität als menschgewordener Gottessohn, es gehört zum Gottmenschen. Alles, was sich in den Beziehungen zwischen der Menschheit und Gott abspielt, läuft nunmehr über Christus: »Niemand kommt zum Vater außer durch mich« (Joh 14, 6). Darum ist Christus der Hohepriester eines ewigen und allumfassenden Priestertums, wofür der erste Bund vorbereitendes Sinnbild war (vgl. Hebr 9, 9). Er übt es in Fülle aus, seitdem er sich als Hoherpriester »zur Rechten des Thrones der Majestät im Himmel gesetzt hat« (Hebr 8, 1). Seitdem hat sich der Stellenwert des Priestertums in der Menschheit geändert: Es gibt nur mehr ein einziges Priestertum, nämlich das Priestertum Jesu Christi, an dem man in unterschiedlicher Weise teilhaben und mitwirken kann.

Papst Johannes Paul II

Mittwoch in der Karwoche

Sieh Kind, der Eifer für mein Haus hatte mein Herz ergriffen während dieses Tages. Die Armen, haben sie gesagt, habt ihr immer bei euch!

Ich werde nicht aufhören den Mund zu öffnen, ohne mir Ruhe zu gönnen. Bewohnt von der riesigen/immensen Sehnsucht das grundlegende weiterzugeben und durch mein Lehren all die Kleinen zu führen, die sich wie Bienen auf einen blühenden Strauch um mich gedrängt haben, als ich neben der Säule stand. Einige haben sich sogar gedrängelt, um meine Worte aufnehmen zu können. Sie haben sie getrunken wie köstlichen Nektar, der ihre nach Licht und Freiheit hungernde Seelen tränkt, …. Sie haben ihre Ohren ausgestreckt, um gut meine Antwort auf die hinterhältigen und heimtückischen Fragen der Sadduzäer, Pharisäer und Schriftgelehrten zu hören, die sie mir nacheinander stellten, nur um mich zu Fall zu bringen.

Soll man auf Fragen antworten, wo die Antwort dazu dient, um uns anzugreifen? Das war eine Herausforderung an jenem Tag!

Manchmal habe ich geantwortet, andere Male habe ich eine Gegenfrage gestellt und so wurden sie selbst zu Fall gebracht. Jene, die mit der Münze kamen, um mir von den Steuern zu sprechen, die man dem Kaiser schuldet! Ich habe sie mit sich selbst konfrontiert in ihrem listigen Verhalten mir gegenüber.

Meine Antwort gebe ich nur demjenigen, der sie mit einem offenen Herzen stellt und der eine wirkliche Frage an mich hat.

Ich habe an jenem Tag gelehrt wie sehr jeder Akt, jedes Wort und sogar jede Intention/Vorsatz einen tieferen Sinn hat und entweder dazu beiträgt Gott zu dienen oder nicht.

Gott verlangt von uns, zu jeder Zeit, jeden zu lieben, um mit ihm zu sein, sich an ihn anzunähern. Denn die Zeit der Vergeltung wird eines Tages kommen, für jeden einzelnen, wie auch für alle und dann wird keine Zeit mehr sein, sich zu entscheiden!

Also sieh du das. Einige haben mich an jenem Tag gehört und ihr Leben hat sich danach verändert. Das war für mich eine Freude!

Kar-Dienstag des Herrn

An diesem Morgen bin ich im Haus in Bethanien aufgewacht, das Herz beschwert mit allem, was sich gegen mich zusammenbraute, mit der unwiderruflichen Entscheidung voranzugehen nach dem, was meinem Vater gefällt, ohne zurückzuschauen, ohne mir die Zukunft vorzustellen, sondern in der Gewissheit, dass ich seine Güte sehen würde auf der Erde der Lebenden… Das, was geschrieben ist, erfüllt sich, nach und nach und mein Herz vertieft sich ins Gebet. Jubel, den göttlichen Plan voranschreiten zu sehen, der so weit gehen wird, das letzte Hindernis zu beseitigen, das der Tod ist mit seinen scheinbar nicht rückgängig machbaren Abbrüchen.

Ja… das Lächeln meiner Freunde an jenem Morgen tat mir gut, durch die schöne Sonne am Morgen, trotz einer gewissen Kühle, habe ich den Weg nach Jerusalem wieder aufgenommen.

Die Vögel flogen zum Himmel empor, begierig nach Raum, in der Freude ihre Flügel zu benutzen, und auch ganz beschäftigt ihre Nester zu bauen… Ach! Die kleinen Füchse strecken ihre Schnauzchen aus.

Ein jeder arbeitet in den Gärten, um die Erde zu säubern, sie luftiger zu machen, indem man sie aufgräbt, oder die Steine entfernt. Die Samen auf dem Feld sind bereits gut aufgegangen.

Also viele Gründe sich zu freuen, und Dank zu sagen!

Aber siehe, da treffe ich raue römische Soldaten, die im Gleichschritt einige Banditen abführen, die sie gefangen genommen haben. Sie gehen in die Stadt hinauf, wo sie dann gerichtet werden. Einen von ihnen begegnet mein Blick. Er ist einfach und sanft und so traurig gefasst geworden zu sein als er seinen ersten und einzigen Diebstahl begangen hatte. Ich habe ihn

durchs Herz die Vergebung Gottes mitgeteilt, als Antwort auf seine Reue… und ich habe gesehen, dass er plötzlich erleichtert sich entfernte. Das ist die Liebe meines Vaters, der schnell diejenigen straft, die ihn lieben, und sie auf dem rechten Weg zu bewahren…

Im Laufe meines Weges sind verschiedene Freunde mir entgegengekommen. Einige von Ihnen waren so sicher wegen meines kürzlichen Triumphes beim Einzug in Jerusalem, das sie zu glauben schienen, dass ich schließlich als der erwartete Messias anerkannt sei. Ich habe nicht versucht, sie vom Gegenteil zu überzeugen, aber ich habe sie daran erinnert, das nicht die

Äußerlichkeit in Wahrheit vor meinem Vater zählt, sondern die Wahrheit der Sanftmut und Demut des Herzens, die in den Akten der Liebe durchscheint, und alle Dienste, die sie denen erweisen, die es am meisten brauchen!

Kind, machen wir weiter, schreib: Ja, ich bin lehrend vorangegangen und dann habe ich auch junges Kind geheilt, das mir eine junge Mutter hingehalten hatte, indem sie mich anflehte: „Rabbi, erbarmen Dich! Das ist der letzte, der mir bleibt…das Fieber wird ihn mir töten! Er hat die Heilung empfangen und wird seiner Mutter helfen das zu überstehen, was kommt… und so schrecklich ist!

Als ich in den Tempel hineingegangen bin, hatte ich die Händler gesehen, die nicht aufhörten, die Passanten zu bedrängen, ohne jeden Respekt für die Heiligkeit des Ortes, indem sie die Vorteile ihrer Waren anpriesen… und doch hatte ich sie am Vorabend von dort vertrieben!

Und ich bin in der Nähe einer Säule stehen geblieben, und habe gebetet für jene, die von weither gekommen waren.

Ein Pharisäer näherte sich mir, um mich zu verspotten: „Also wozu war es gut, alles umzuwerfen, glaubtest du das in einem Aufwasch alle bekehren könntest, die du angegriffen hattest? Sie müssen doch ihre Arbeit tun. Und Du, wozu bist nützlich? Du sprichst und tust magische Dinge, hau ab, denn Du bist es der mit seiner Gegenwart diesen heiligen Ort beschmutzt!“

Wenn ich dir all die Angriffe auf allen Ebenen, die ich in jenen Tagen erlebt habe, vermischt mit wahren Huldigungen und Akten des Glaubens seitens jener, deren Augen sich geöffnet hatten und nicht aufhörten mir so etwas wie wahrhaftige Blumensträuße zu schicken, dann würdest Du erstaunt sein.

Mein Herz ist dann eingetaucht in die Sanftmut und Demut, und jegliche Entmutigung hat mich verlassen, sogar jeglicher Zorn, sogar der heilige, und ich habe gebetet: Vater sieh deine Kinder und erbarme Dich, denn ihre Augen haben sich der Realität verschlossen, Ihre Herzen haben sich in ihren Positionen verhärtet. Ja verwandle Ihre Herzen aus Stein in Herzen aus Fleisch!

Kar-Montag

Möchtest du wissen was ich am Montag, der meinem Ostern vorrausgegangen ist, empfunden habe?

Ein großer Abgrund ist in meinem Herzen aufgegangen: Ich bin zum Ende meiner Mission gekommen und Satan hat gegen mein Herz alle Angriffe des Bösen entfesselt, unter ihnen sind die stärksten, die Entmutigung und die Angst. Die Angst, die innerlich aufsteigt, siehst du das ist das Gesicht der Vielen, die niemals meinen Namen kennen werden, es ist auch das Gesicht all derer, denen meine Liebe zwar verkündet werden wird, aber so schlecht, als etwas, dass man schon kennt, oder als ob sie einer schuldbeladenen Schwäche ähnelt, oder das sie nur einer Elite vorbehalten wäre… . Kurz, alle falschen Verkündigung, alle Gegenzeugnisse jener, die behaupten, dass sie zu mir gehören, das hat mein Herz gequält an jenem Montag.

In diesen Tag habe ich den meinen Zeigen wollen, dass meine Sanftmut keinerlei Schwäche in sich hatte. Ich habe Zeichen (große Wunder getan), die Händler aus dem Tempel verjagt und die Grenzen meiner unendlichen Barmherzigkeit festgesetzt. Ich habe dem Vater für seine unendliche Güte, die sich großzügig austeilt, ohne Einschränkung und ohne Unterscheidung auf jede seiner Kreaturen, ohne aber sich Ihrem Innersten aufzudrängen! Wie Er, habe ich mich im Tempel aufgehalten, um jene, die kamen zu lehren und wie Er bin ich gereist und habe jene geheilt, die zu mir kamen… so werden jene gerettet werden, die es wollen werden, jene, die es sagen werden, jene, die es glauben werden!

An jenem Montag habe ich alles meinem Vater übergeben: Ich habe Ihm mein ganzes Vertrauen erneuert: Alle, Jeder, heute wie gestern, wie morgen, wird in mir gerettet…, aber Ich bin an der Türe, ich klopfe an und ich gehe auf euren Wegen, indem ich meine Wohltaten ausspende… jenen, die zu mir kommen, die es wollen…

Seht ihr den Feigenbaum ich habe Ihn verflucht, betrachtet das! Seht zu, dass ihr Frucht bringt und das nicht nur scheinbar: schönes Grün, schöne Worte. Das, was zählt ist nicht das, was nach außen scheint, sondern das, was aus der Tiefe entspringt und Frucht bringt!

Ich habe gebetet, dass eure Worte, eure Verkündigung meiner Liebe, verankert sein mögen in Mir und aus der Quelle schöpfen, damit sie Früchte für das Himmelreich hervorbringen. Ich habe die Blinden geheilt, ich habe die öffentlichen/schlimmen Sünder besucht, die, wie Zachäus, sich wirklich für mich interessiert haben…

Weh jenen, die nur scheinbar zu mir gehören aber deren Herzen fern sind! Oh wie kostbar war für mich die sanfte Einkehr in Bethanien (bei Maria Martha und Lazarus), als die Sonne unterging!

Palmsonntag

Auf meinen Esel reite ich voran im gleißenden Licht des Tages. Die Zurufe, die Ehrerbietung, der Respekt umgibt mich. Auf meinen Esel reite ich voran, ich begegne den schönen Blicken der Kinder, der Eltern, der Alten, alle vereinigt im Gesang! Auf meinen Esel reite ich voran in einer tiefen inneren Stille; mein ganz gesammeltes Herz bereitet sich auf die Beleidigungen / Angriffe vor! Ich gehe hin zum Kreuz, das euch rettet und will es umarmen. In meinen Herzen diesen Frieden verkostend!

Am Anfang der Woche lade ich dich in die Intimität meines Herzens ein. Nimm es an, dass ich dir helfe das mitzuteilen, was ich gelebt habe in der Karwoche. Beunruhige dich nicht wegen der Unglücklichen um dich herum. Ich bin der Unglücklichste von allen in diesen Tagen. Ich bin der Unschuldige und ganz bedeckt mit der ganzen Ungerechtigkeit. Nichts und niemand ist von meiner Hingabe ausgenommen. Wenn du mich betrachtest, erreichst du wirklich jeden Unglücklichen! Öffne dein Herz und höre!