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Kommentar zum Sonntagsevangelium


Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen Gottes große Taten zu verkünden (Apg 2,4.11)

Johannes Tauler (um 1300-1361)
Dominikaner in Straßburg
Predigt 26, 2. Predigt zu Pfingsten

Heute ist der große Jahrestag, der Tag, an dem der Heilige Geist zu den Jüngern und zu all denen gesandt worden ist, die mit ihnen zusammen waren, der Tag an dem uns der große Schatz zurückgegeben wurde, den uns die Arglist des Feindes und die Schwäche des Menschen im irdischen Paradies haben verlieren lassen...

Die Art und Weise, wie das geschah, ist schon von außen gesehen staunenswert; das Geheimnis freilich, das sich in diesen Wundern zutiefst verbirgt, kann kein Verstand, kein Gehirn, kein Geschöpf erkennen, begreifen und ausdrücken. Der Heilige Geist ist unermesslich, von so unvorstellbarer Größe und Sanftheit, dass alles Große, das der sich selbst überlassene Verstand sich vorstellen kann... nichts dagegen ist. Himmel und Erde und alles, was man davon begreifen kann, ist im Vergleich dazu nichts. Deshalb muss auch der Heilige Geist selber den Ort bereiten, an dem er empfangen werden soll, selber tätig sein, damit der Mensch fähig wird, ihn zu empfangen...; es ist die unfassbare Tiefe Gottes, die der Ort dazu sein muss und die Fähigkeit, ihn aufzunehmen.

„Das ganze Haus wurde erfüllt“ (Apg 2,2)... Dieses Haus steht beispielhaft zunächst für die Kirche, dann aber auch für jeden Menschen, in dem der Heilige Geist wohnt. Wie es in einem Haus viele Wohnungen und Zimmer gibt, so gibt es im Menschen viele verschiedene Fähigkeiten, Sinne und Kräfte. Der Heilige Geist sucht sie auf besondere Weise alle auf. Sobald er da ist, treibt er den Menschen an und ermuntert ihn, weckt in ihm bestimmte Neigungen, arbeitet in ihm und erleuchtet ihn. Seinen Besuch und sein Wirken im Inneren verspüren nicht alle Menschen in gleicher Weise. Zwar ist der Heilige Geist in allen rechtschaffenen Menschen; wer aber sich seines Wirkens bewusst werden und sich seiner erfreuen will, der muss sich in sich selbst zurückziehen... in die Ruhe und Stille... Je mehr der Mensch sich von ihm in die Sammlung führen lässt, desto mehr wird ihm die innere und immer stärker werdende Gegenwart des Heiligen Geistes bewusst, die ihm schon von Anfang an gegeben war.