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Kommentar zum Sonntagsevangelium


Marta und Maria

Hl. Bernhard (1091-1153), Zisterziensermönch und Kirchenlehrer
3. Predigt zum Fest der Aufnahme Mariens,
6-7 (Übers.: M. Hildegard Brem, in: Bernhard v. Clairvaux: Sämtl. Werke lat./dt., Innsbruck: Tyrolia-Verl., 1997, Bd. VIII, S. 555 f.)

Auf wen scheint das Wort des Herrn: „Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen“ (Lk 10,41) besser zu passen als auf die Vorgesetzten, wenn sie nur ihren Vorsteherdienst mit entsprechender Sorgfalt ausüben? Oder wer hat die meisten Mühen, wenn nicht der, dem die ganze Sorge sowohl für die beschauliche Maria und den büßenden Lazarus, aber auch für jene, mit denen er seine Lasten teilt, auferlegt ist (Benediktsregel 21,3)? Sieh da eine besorgte Marta, eine Marta, die sich um vieles kümmert: Vom Apostel spreche ich, der die Vorsteher zur Sorgfalt ermahnt und selbst für alle Gemeinden Sorge trägt. „Wer leidet unter seiner Schwachheit,“ fragt er, „ohne dass ich mit ihm leide? Wer kommt zu Fall, ohne dass ich von Sorge verzehrt werde?“ (2 Kor 11,29) So soll also Marta den Herrn in ihr Haus aufnehmen, da ihr die Verwaltung des Hauses anvertraut ist […] Aufnehmen mögen ihn die übrigen Mitarbeiter ja nach Art ihres Dienstes: Sie mögen Christus empfangen, Christus dienen, für ihn da sein in seinen Gliedern, der eine bei den kranken Brüdern, der andere bei den Armen, der dritte bei den Gästen und Fremden.

Während diese mit ihren vielen Diensten beschäftigt sind, möge Maria auf die Beschauung achten und sehen, „wie gütig der Herr ist“ (Ps 33[34],9). Sie achte darauf, sage ich, mit hingegebenem Herzen und ruhigem Geist zu den Füßen Jesu zu sitzen. Sie habe ihn ständig vor Augen und nehme die Worte aus dem Munde dessen auf, dessen Anblick lieblich und dessen Wort beglückend ist. Gnade ist nämlich über seine Lippen ausgegossen, und er ist das schönste von allen Menschenkindern (vgl. Ps 44[45],3), ja, er überragt sogar allen Glanz der Engel. Freu dich und sage Dank, Maria, du hast den besten Teil erwählt. Selig sind nämlich die Augen, die sehen, was du siehst, und die Ohren, die hören dürfen, was du hörst (vgl. Mt 13,16f.). Ja, selig bist du, weil du den Herzschlag des göttlichen Flüsterns in dem Schweigen vernimmst, in dem der Mensch den Herrn am besten erwartet!